Heidegger und die deutsche Sprache

Aus dem Franz. von M. Noll
Heidegger und die deutsche Sprache
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Produktinformationen "Heidegger und die deutsche Sprache"

Schon am Beginn des 19. Jahrhunderts wird die deutsche Sprache zu einem entscheidenden politischen Instrument: Sie gilt als Ursprache, als die von fremden Einflüssen freie, wahrhafte Sprache des Paradieses, die sich ihre Eigentlichkeit und Reinheit bewahrt hat und besonders geeignet ist für das Philosophische. Im 19. Jahrhundert kommt es bekanntlich zu einer ganz auffälligen Ausbreitung jener deutschen Philosophie, der Nietzsche ihre unbeholfene und schwerfällige Ausdrucksform anlastete. Fast als Einziger verschont von diesem Vorwurf bleibt Schopenhauer. Erst Heidegger unternimmt eine radikale Erneuerung der Sprache und Übertragung des Philosophischen ins Politische. Im ganzen 19. Jahrhundert hatte sich kaum jemand daran gemacht, zumal es bis 1871 die politische Realität, die als Bezugspunkt hätte dienen können, noch nicht wirklich gab.

Heideggers vordergründige Originalität besteht darin, dass er die philosophische Reflexion im Innersten des Deutschtums, als der einzig möglichen Quelle des Denkens, angesiedelt hat. Diesen Weg hatten ihm Dilthey und Max Scheler im Großen und Ganzen bereits geebnet. Wie schon Fichte verkündete, besitzen allein die Deutschen die Fähigkeit zu jenem eigentlichen Denken, das vom bequemen cartesischen Denkverzicht angeblich verschont bleibt. Verjudet und romanisiert bis in seine Grundzüge hinein, findet sich das abendländische »Denken« zur Wiederholung verurteilt und ständig fundamental eingeschränkt – genau dieser Hintergedanke begleitet Heideggers Schrift Kant und das Problem der Metaphysik von Beginn an. Permanent kritisiert wird der Absturz ins Uneigentliche: auf der einen Seite das System, auf der anderen der vielgerühmte (deutsche) Geist.

Die lingua tertii imperii, die Sprache des Dritten Reichs, hat – dank eines großen Einverständnisses mit, einer rückhaltlosen gedanklichen Zustimmung zu einem fürchterlichen, aus pompöser Monumentalität und Gefühlsduselei verfertigten Jargon, den man als sprachliche Thingstätte bezeichnen könnte – alles und jedes durchdrungen. Den Zwängen des Nationalsozialismus entkam niemand, und was damals in Deutschland erlebt und geschrieben wurde, trägt ihren sichtbaren Stempel und ist seither einem bestimmten Denken ein für alle Mal einbeschrieben. Dieser Jargon hatte die Sprache so sehr infiltriert und entstellt, dass jene Schädlinge, die die Naziwörter nicht benutzten, im Handumdrehen zu erkennen waren.

Da Heideggers Denken mit eben dieser Sprache amalgamiert ist, kann es, selbst seinem politischen Gehalt nach, nicht ins Französische übertragen werden. Was Heidegger sagt, lässt sich partout nicht trennen von der Sprache, die es zum Ausdruck bringt, und zwar umso weniger, als sein ganzes Bemühen darauf gerichtet ist, Sprache letztlich von ihrer Wurzel her, in ihrer Vertikalität zu fassen.

Er selbst sagt und wiederholt es immer wieder: Die Sprache schlechthin ist das Deutsche, aber jenes Deutsch, dem man – dank seiner Eigentümlichkeiten, als ein (mit 2500 Wortstämmen) zugleich begrenzter und grenzenloser Wortschatz – in die Tiefe nachgehen kann. Als »Sprache der unbegrenzten Möglichkeiten« steht es dem, der sich seiner bedient, zur vollen Verfügung und war seit den Anfängen immer wesentlich Volkssprache; ein höfisches Deutsch oder ein Diplomatendeutsch hat es nie gegeben, es hat nichts von einer internationalen Sprache. Sein Schliff ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, erkennbar bleibt nur die ortsgebundene Mundart, die Sprache der Bauern, der Handwerker oder des Raumes: Das Deutsche ist eine Sprache, die man sieht, sie ist anschaulich und konkret. In jedem Fall spricht eine Sprache, die Wörter agglutiniert, ganz anders als eine Sprache, die sie mit Präpositionen verbindet: Herrschaftsräume besagt mehr als »espaces de domination« – so lautet im Französischen die direkte Übersetzung der beiden Wörter, aus denen das deutsche Substantiv gebildet ist.

Nicht nur vindiziert Heidegger dem Deutschen überhaupt eine besondere Nähe zur Philosophie, sein eigenes Deutsch kommt ihr angeblich am allernächsten; innerhalb der Sprache wählt und definiert er einen ganz eigentümlichen, von Anfang an (schon 1927) gut erkennbaren und im philosophischen Sinne »national-spezialistischen« Bezirk – keiner seiner damaligen Zuhörer konnte darüber im Zweifel sein. Und genau hier schließen die Schwarzen Hefte an.

Heideggers Sprache ist, wie er es in seiner Marburger Zeit selbst genannt hat, eine formale Anzeige, eine Sprache des Aufrufs, ja fast der Verkündung, und gerät eben darum, ohne dass er sich dessen bewusst ist, in engste Berührung mit der LTI, die gleichfalls ihrem Wesen nach Aufruf ist. Sie ist eine Sprache, die alles restlos ausstößt, die es von Grund auf, also gründlich ausspricht. Das Problem besteht in der direkten Mitwirkung der Ausdrucksform, in der unvermeidlichen Nähe zur LTI. Besonders aufschlussreich sind bestimmte Begriffe wie etwa Einsatz: Die studentische »Bindung« im »Wehrdienst« zum Beispiel verlangt die in Wissen und Können gesicherte und durch Zucht gestraffte Bereitschaft zum Einsatz bis ins Letzte. Wörter werden umgedeutet, in andere Bahnen gelenkt oder in künstlicher Weise neu zusammengesetzt wie etwa der Aufbau im Dienst des im Sprachgebrauch allgegenwärtigen NS-Regimes.

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